Der Coole und die Betroffene,
eine seelische Pest für die Zukunft?
Letzthin kam ich im Gespräch mit einem jungen Mann, einem Mittelschüler, auf sein Problem zu sprechen, dass er zuwenig "cool" reagieren könne. Es hatte sich gezeigt, dass er gegenüber einem Mädchen unsicher geworden war. Das schlimme daran aber sei, dass er die innere Erregung nicht unterdrücken konnte, dass er nicht mehr recht wusste, was er sagen solle. Kurz, dass ihm die für ihn sonst selbstverständlichen coolen Sprüche ausgegangen sind, die anderweitig seine Überlegenheit über solche Situationen bewiesen haben (sollen).
In der näheren Betrachtung dieses Ideals der Coolness tauchten verschiedene bedeutsame und bedenkliche Aspekte auf. An sich ist es klar und war schon immer so, dass sich niemand gerne eine Blösse gibt, zumal gegenüber jemanden, der einem wichtig ist. Aber: Was wird unter dem Ideal "cool" bereits alles zur Blösse ?!!
Cool?
Cool könnte mit kaltblütig übersetzt werden. In Gefahrensituationen ist dies sicher eine Tugend. Wenn aber zum Ideal wird, in allen Situationen kaltblütig zu sein, so führt dies rasch einmal zur Gefühlskälte überhaupt. Und dies hat Konsequenzen für das Klima im Zusammenleben.
Natürlich spielten Männchen vor den Weibchen schon immer gerne den starken Helden. Schon immer hatten die "starken Männer" Angst davor, ihre Ängstlichkeit und Schwäche könnte entdeckt werden, die Kindlichkeit des "starken Geschlechts" scheine durch und die Grossmannssucht könnte als Abwehr von Minderwertigkeitsgefühlen gegenüber "der Frau" entlarvt werden. In anderen Epochen erscheinen aber als ideales Gegenmittel viel mehr die Heissblütigkeit, Feuer, Energie und Mutproben als Gegenbeweis zur Angst. Wir könnten sagen, den heissen-Helden zu spielen.
Mit der Coolness kommt ein anderes Lebensgefühl in die Geschlechterdynamik: Zur Schau gestellte Gleichgültigkeit, Vermeiden jeden Ausdruckes von Engagement, Überspielen jeder Anwandlung von Schwäche oder Ohnmachtsgefühl durch Darstellung von Desinteresse bis hin zum Vermeiden von jedem Gefühlsausdruck: Der coole, unbeteiligte, der kalte-Held. Leblosigkeit (Starre, Todessymbole etc.) oder mindestens so schlimm, Zynismus wird zur idealen Pose.
Pose wirkt nach innen
Langes Einüben von Posen tendiert zu einer Verinnerlichung des vorerst äusseren Ausdrucks. Der Mensch wird zum Gefangenen seiner Rolle, die er zunächst spielen will (oder meint spielen zu müssen). Aber die Rolle wirkt auf ihn zurück. Er wird so, wie er sich darstellt. Das Ausbrechen aus der Rolle wird umso schwieriger je mehr er das Gefühl hat, seine Rolle verschaffe ihm Anerkennung bei den Mitmenschen. Zuerst mag es Scham davor sein, seine Gefühlshaftigkeit, Sensibilität und Empfindsamkeit nach aussen zu zeigen. Wo die deshalb angenommene Rolle des Coolen auf Bewunderung seiner Kameraden stösst, wächst die Angst vor der Beschämung, wenn er die Rolle aufgeben möchte. Die so geübte Pose der Gleichgültigkeit lässt mit der Zeit die Gefühle verkümmern.
Gefühle sind aber das lebendige Bindeglied zur Wirklichkeit. Sie entstehen aus der Berührung, dem Sich-Berühren-lassen und damit unmittelbar aus der Rührung. Cool sein bedeutet, sich nicht mehr berühren zu lassen, Rührung zu unterdrücken. Mit der Zeit entsteht daraus eine Schwächung des inneren Erlebens und der Wertempfindung gegenüber dem Lebendigen und schliesslich auch dem eigenen Leben gegenüber.
Das Ersterben der inneren Lebendigkeit wird nach aussen sichtbar in der Härte (Abhärtungsideal) gegenüber Menschen und Gegenständen. Daher besteht eine innere Logik darin, dass die Grenze zwischen der Demonstration von Coolness und Sachbeschädigung (manchmal sich bis zu Menschenschädigung steigernd) relativ leicht überschritten wird. Coole Sprüche streifen oder überschreiten oft die Grenze zur Menschenverachtung oder Verhöhnung der Menschenwürde. Besonders cool ist, wer über das spottet, was er eigentlich begehrt. Wenn aus dem judendlichen Cool-Spielen plötzlich cooler Ernst wird, wird das Zusammenleben nicht mehr gemütlich sein.
Betroffen?
Zeitlich nahe beieinander tritt die Mode des demonstrativen Betroffen-Seins auf. Wer sich da nicht alles als Betroffene zumeist, manchmal auch als Betroffener demonstriert.
Gibt es zwischen beiden Phänomenen einen Zusammenhang ?
Ich denke schon: In den "Betroffenen" präsentieren sich die "Opfer" der Oeffentlichkeit. Sie demonstrieren das eigene Elend oder jenes anderer Mitbürger, die sie nicht cool lassen. Sie fordern, dass es niemanden cool lassen dürfe und dass etwas zu tun sei. Sie zeigen zwar öffentlich Gefühl, aber oftmals wirkt dieses Gefühl künstlich, plakativ, distanziert. Die Betroffenheit Demonstrierenden sind oft der Wirklichkeit gegenüber genau so untätig wie die Coolen.
Woher stammen denn der Coole und die Betroffene ?
Wenn ich es richtig sehe, sind die Engagierten verschwunden. Oder besser gesagt, das Ideal "Engagement" ist untergetaucht. Es ist auseinandergebrochen in zwei Hälften: Die Coolen demonstrieren ihr Disengagement (Desinteresse) und die Betroffenen fordern das Engagement - von den andern. Aus der Psychopathologie wissen wir, dass jede Spaltung der Gefühle zu Entscheidungs- und Handlungsunfähigkeit führt.
Mir scheint es höchste Zeit, dass das Ideal des "Engagement" der Jugend (und den Erwachsenen) zurückgegeben wird. Engagement bedeutet, Sich ansprechen lassen von dem, was mir begegnet: Selbstverantwortung, Selbsttätigkeit, spontanes Zupacken. Wer das Märchen der "Frau Holle" noch im Gedächtnis hat, erinnert sich an Gold-Marie, die Brot und Äpfel sprechen hört und als selbstverständlich übernimmt, dass sie in dieser Situation selber handeln muss.
Quellen von Posen
Um dieses Ideal zurückzugeben, müssen wir verstehen, wie es abhanden gekommen ist. Ich sehe 3 Bewegungen:
1. Bewegungen engagierter Jugendlicher wurden immer wieder diffamiert, teils aus Angst und Unverständnis zurückgeschlagen. (Law und Orderparolen gegen die 68iger, gegen die autonmen Jugendlichen der 80iger, gegen liberale Schulversuche
usw.). Politik und Gesellschaft waren unfähig, die Kräfte aufzugreifen und konstruktiv in neue, geminsame Ziele zu integrieren. Dort fanden gesellschaftliche Abspaltungsprozesse statt. Die Reaktion darauf war bei den einen Lähmung und Desinteresse, bei andern Zynismus, bei dritten erfolgte mit der Enttäuschung ihrer Ideale ein Aufgeben jeder Lebensideale und ein Treibenlassen im Konsumrausch (und anderen Räuschen).
2. Die politische Propaganda des letzten Jahrzehnts diffamierte die Emotionalität. Das (an sich zwar selber sehr emotionale) Geschrei nach Sachlichkeit in der Diskussion (z.B. in Atom-Diskussionen etc.) wurde von weiten Teilen der Oeffentlichkeit nicht durchschaut. Emotioneller Ausdruck von Standpunkten wurde bald als Kennzeichen für mangelnde BegrUndetheit der Argumente behandelt, während die "coolen", sogenannt sachlichen Argumente der Fachleute zum Massstab der Wahrheit gemacht werden sollten. Nur wer cool bleiben kann, darf ausreden. Es wurden in der öffentlichen Diskussion übersehen oder geleugnet, dass Gefühle auch Tatsachen sind und dass sie hohen Erkenntniswert haben! Die totkalte Emotionalität in den Forderungen nach "Sachlichkeit" wurde und wird nicht durchschaut. Die Gefahr dämmert bereits am Horizont, dass der Wert tatsächlicher Sachargumente in vielen Bevölkerungsschichten völlig ausgedient haben könnte, gerade wegen dieses Missbrauches des Begriffes "sachlich". (z.B. bei der Ueberfremdungsangst und dem Umgang mit ihr etc.)
3. Eine 3. Quelle sehe ich in Inhalten und Darstellungen von Comics, Zeichentrickfilmen und bestimmten Produkten des Unterhaltungs-Humors, der zu häufig menschenverachtend daher kommt. Sie können sowohl als Abbild wie als Verstärker der oben geschilderten Entwicklung verstanden werden. Ich selber schätze z.B. die Comic-Figur des Lucky Luke zwar sehr zur Unterhaltung. Mich freut er besonders, weil er so unglaubwürdig selbstsicher auftritt, und damit für mich erheiternd, ja lächerlich wirkt. Was aber, wenn ihn Jugendliche nicht lächerlich sondern nachahmenswert finden, seine Posen zum Ideal und Vorbild nehmen. Wenn sie glauben mit dieser lässigen Verachtung Verbrechern (d.h. auch Mensch) und Dümmeren gegenüber aufzutreten, sei gut ? Dann ist es nur noch eine Frage, wen sie als Verbrecher, als Schlechten oder Unerwünschten ansehen und die Menschenverachtung schwappt über auf alle, die - aus welchen Gründen auch immer - nicht genehm sind. Solange dies vorübergehende Jugendtorheiten sind, mag es angehen. Ich zweifle aber daran, ob sie vorübergehend sind. Zudem sind auch der Jugendtorheit klare Grenzen zu setzen, wo aus dem Spiel des einen bitterer Ernst für den andern wird.
Engagement
Heute sind wieder Engagierte gefragt. Männer und Frauen, die ihre Gefühle und ihre Betroffenheit nicht nur zeigen, sondern mit Gefühl und (Sach-)Verstand Taten planen. Menschen, die das Zeigen von Schwäche nicht ausbeuten, um sich selber grossartig zu geben, sondern nachfragen, was zu tun ist.
Erwachsene sollten Treffpunkte und Aktionen von Jugendlichen nicht als Bedrohung behandeln und aufs Minimum beschränken, die Jugend auch nicht in hundert Aktivitäten von Sport bis "Unterhaltung" ablenken, sondern Diskussions- und Aktionsräume bereit stellen, in denen Engagement erst wachsen kann. Kinder und Jugendliche sind von früh an in die Diskussion mit Erwachsenen einzubeziehen und in der Gestaltung der gemeinsamen Welt zu beteiligen. Das Ideal des "lonesome Cowboy", des coolen Mannes, führt zur Vereinsamung. Ausbruchsversuche aus der Vereinsamung führen oft zu gewalttätigen Banden oder als Gegenschlag zu fanatischen Zirkeln (oder beidem).
Emotionalität muss wieder mit Intellekt und Sachverstand verknüpft werden. Der Sachverstand muss die Gefühle wieder als Wegweiser anerkennen und sich nicht nur auf messbare Daten beschränken wollen. Nur das Aufheben dieser Spaltung, die zu Engagement für und sich in Engagement ausdrückt, kann unsere Kultur weiterbringen. Die Diffamierung, die Abwertung, aber auch die Verkennung der Emotionalität muss ein Ende haben.
© Dr. Rudolf Buchmann